Aus 100 Jahren Chorgeschichte
Februar 1923. Die Inflation in Deutschland steuert auf ihren Höhepunkt zu. Ein Brot kostet 800 Mark. 9 Monate später werden es 200 Milliarden sein.
In der Gaststätte „Morgenstern“ in Groß Besten gründen 25 Männer einen Gesangverein. Der ursprüngliche Gedanke, auf Trauerfeiern zu singen, um Kosten für fremde Künstler zu sparen, wird zugunsten eines universelleren Zieles aufgegeben. Der Chor gibt sich den Namen „Arbeiter-Gesang-Verein Deutsches Lied Groß Besten“ und schließt sich umgehend dem Deutschen Arbeiter-Sängerbund an. Ein Dirigent findet sich in dem anwesenden Lehrer Nikolaus.
Einige Gründungsmitglieder waren bereits im Männer-Gesangverein "Harmonie" Klein Besten von 1892 aktiv. Der Chorgesang in Bestensee hat also bereits eine über 130jährige Tradition!
Das erste Notenmaterial stellt der Männerchor Königs Wusterhausen zur Verfügung. Der Chor wird nun jeden Mittwochabend zwei Stunden proben. Bereits 6 Wochen später kann er anläßlich seiner Gründungsfeier zwei Lieder zum Besten geben.
Von nun an künden Festprogramme vom erfolgreichen Wirken des Chores im weiten Umkreis. Zu dieser Zeit gibt es so gut wie in jedem Dorf einen Chor, und überall finden Sängerfeste und Konzerte statt. Selbstverständlich tritt der Chor oft in Groß - und Klein - Besten auf.
Der Gesangverein wirkt alljährlich bei den Maifeierlichkeiten mit und macht am Himmelfahrtstag seine Herrenpartien, unter anderem zu Fuß nach „Tornows Idyll“. Dazu steht im Protokollbuch: „Diese Herrenpartien verliefen urgemütlich. Beide Male wurden wir naß, die meisten Sangesbrüder aber von innen!“
1926 nimmt der Verein am Gausängerfest in Brandenburg teil. Im folgenden Jahr kann der Verein an diesem Fest zu Pfingsten 1927 aus wirtschaftlichen Gründen nicht teilnehmen - 50% der Sänger sind arbeitslos. Der Kassenbestand des Chores beträgt 134,- Mark - allein der Chorleiter kostet monatlich 25,- Mark. Hierzu heißt es im Protokollbuch: „Der Vorsitzende nahm das Wort und teilte mit, daß der Vereinswirt Wilhelm Piesker einen Teil der unserem Vereinsdirigenten obligatorisch zustehenden 3 Glas Bier auf eigene Rechnung nimmt!“
Allen Widerwärtigkeiten zum Trotz - immer wieder liest man von gelungenen Auftritten des Vereines in dieser Zeit. So wird 1927 zur Sportplatzeröffnung gesungen, 1929 im Genesungsheim für die alten Insassen, im gleichen Jahr findet das Bezirkssängerfest in Groß Besten statt. Alljährlich gibt es Maskenbälle und Stiftungsfeste. 1931 nimmt der Chor an den „Feierstunden der Arbeitersänger“ in Berlin teil.
1933 - die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler übernehmen die Macht in Deutschland. Nach und nach wird alles, was nicht der Doktrin der neuen Machthaber folgt, bekämpft.
Auch Groß Besten bleibt nicht verschont. Der vorwiegend aus SPD-Mitgliedern bestehende Vorstand wird zwangsweise abgesetzt und nach angeordneten Neuwahlen durch politisch neutrale Sänger ersetzt. Das gesamte Notenmaterial wird beschlagnahmt. Ein Teil des Notenmaterials wird dem neuen Vorstand zurückgegeben - drastisch zensiert. „Politisch bedenkliches“ Liedgut ist sogar aus den Notenbüchern herausgeschnitten worden. Zeitweise stehen die Gesangstunden unter Kontrolle. Ein „Nazi-Chor“ ist der Chor nie geworden.
Zeugnisse der Tätigkeit des Männerchores aus der Zeit von 1933 bis zum Kriegsbeginn sind rar. Mündliche Überlieferungen sprechen von einem starken Mitgliederschwund, was durchaus in den Ereignissen von 1933 und danach begründet sein mag, der Chor soll wohl zeitweise sogar als gemischter Chor weiterbestanden haben. Belege aus dieser Zeit gibt es wenige.
1936 wird gemeinsam mit dem Gemischten Chor "Lerche" ein gelungenes Konzert in der Singakademie Berlin veranstaltet. Beim Wertungssingen der Gemischten Chöre des Bezirkes in Märkisch-Buchholz wird der Gemischte Chor Bestensee mit dem Prädikat "Sehr Gut" bewertet.
1938 entsteht aus der Zusammenlegung der bis dahin selbständigen Orte Groß Besten und Klein Besten der Ort Bestensee.
Als 1940 der Dirigent des Chores und weitere Sänger zur Wehrmacht eingezogen werden, ruht das Vereinsleben weitgehend. Die verbliebenen Sänger treffen sich 14tägig im Lokal Zieme und singen unter der Leitung des Altdirigenten Paul Schröder einige Lieder. Ende 1944 muß auch das eingestellt werden, da die verbliebenen Sänger zum Arbeitsdienst eingezogen werden.
Nach dem Kriegsende ab etwa Mitte 1945 trifft man sich wieder 14-tägig zunächst ohne Dirigenten in der Gaststätte Streichan am Bahnhof. Der Dirigent kommt erst 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Mit Herrn Borchert kann ein neuer Dirigent verpflichtet werden. Nach und nach kommen wieder alte und neue Sänger hinzu, leider sind jedoch einige gefallene Sangesbrüder zu betrauern.
In den ersten Jahren der Nachkriegszeit gibt es wenige Gelegenheiten zu Freude und Frohsinn. Das bewegt wohl viele junge Männer zum Beitritt; der Verein kann seine Stärke in den Jahren 1950 bis 52 auf fast 40 Mitglieder steigern - von solchen Zahlen träumen wir heute!
Jedoch soll die Freude nicht lange währen. Der Dirigent muß wegen der Übernahme des Pfarramtes den Taktstock niederlegen. In der Folge bleiben viele Mitglieder dem Verein fern und er droht auseinanderzufallen. Hier übernehmen nun die jungen Sänger die Initiative und bauen den Verein neu auf. In Josef Proffert wird ein neuer Dirigent gefunden, und unter dem Vorsitz der unvergessenen Sangesfreunde Erich Nawin und Werner Rust geht es wieder bergauf.
Viele gemeinsame Erlebnisse verbinden die Sänger - traditionell finden die Himmelfahrtsausflüge statt, 1955 verliert der Chor im Fußball gegen die Alten Herren Bestensee 0:1, im gleichen Jahr veranstalten die Sänger ihr erstes Rosenbaumfest. Auftritte führen den Chor in jenen Jahren nach Töpchin, Motzen, Schenkendorf und Mittenwalde sowie ins Bestenseer Altersheim. Gemeinsame Veranstaltungen werden auch mit der Turnersparte Bestensee durchgeführt.
In den 60er Jahren ist die schlimmste Not der Nachkriegsjahre überwunden. Ein bescheidener Wohlstand kann aufgebaut werden, und mit diesem einher geht die zunehmende Freude an fröhlicher Geselligkeit. Diese positive Entwicklung macht selbstverständlich nicht vor dem Chor halt, im Gegenteil trägt dieser sehr aktiv zu Freude und Frohsinn bei. Ehemalige Chortraditionen werden neu belebt und neue Traditionen entwickelt.
Am ehesten kommen noch die Himmelfahrtsausflüge der sprichwörtlichen „Männerchor- Bierseligkeit“ nahe. Aber auch hier haben die Götter vor den Preis den Fleiß gesetzt - anstrengende Wanderungen oder kräftezehrende Fahrradtouren sind zu absolvieren, bevor ein „kühles Blondes“ Labung schenkt. Da sind gelegentliche Kremser-Fahrten schon eine Erholung. Aber in jedem Fall: ohne fröhliche Lieder geht kein Ausflug zu Ende!
Im Jahre 1959 muß der Verein aus finanziellen Gründen auf beliebte Traditionen, wie Maskenbälle und das Rosenbaumfest verzichten. Ende 1962 singt der Chor am Grabe seines langjährigen Dirigenten Josef Proffert. Nun ist die Dirigentenfrage, welche dem Verein in seiner Geschichte häufig Probleme bereitet hat, wieder offen. Ein Glückstreffer ist es dann schon, als 1963 der profilierte Chormeister Günter Schröder den Taktstock übernimmt.
Günter prägt in den folgenden 30 Jahren den Chor nachhaltig. Unter seiner künstlerischen Leitung wird der Männerchor Bestensee weit über die Kreisgrenzen hinaus bekannt. Die künstlerische Entwicklung gipfelt mit der Verleihung des Titels „Hervorragendes Volkskunstkollektiv der DDR“ im Jahre 1987. Dieser Titel wird nicht, wie so mancher andere in der DDR, inflationär vergeben, und Sänger und Dirigent sind zu Recht stolz darauf!
Wir schreiben das Jahr 1990. Die DDR wird nur noch wenige Monate bestehen. Der Wechsel der politischen und ökonomischen Systeme bringt viele Probleme mit sich, die auch an den Sängern nicht spurlos vorbei gehen. Infolge privater Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit einiger Mitglieder und allgemeiner Orientierungslosigkeit ruht die Vereinsarbeit etwa ein halbes Jahr. Nach und nach finden die Sänger aber wieder zusammen, nicht zuletzt aufgrund der rührigen Arbeit des Vorstandes mit Heinz Dubiel an der Spitze. Am 14.10 1991 wird der Chor beim Amtsgericht Königs Wusterhausen als "eingetragener Verein" registriert.
Vieles hat sich in Bestensee seit der Wende verändert. Nach zögerlichen Anfängen in den 90er Jahren hat sich mit der Etablierung rühriger Vereine ein breites kulturelles Leben entwickelt und neue Traditionen werden geschaffen. Daraus ergeben sich für den Chor vielfältige Auftrittsgelegenheiten und -orte.
Bei vielen Veranstaltungen im Ort ist der Männerchor präsent. Oft eröffnet der Chor mit frohen Liedern die Veranstaltung - seien es Oster- oder Weihnachtsmarkt, Dorffeste in Bestensee und Pätz oder die inzwischen sehr beliebten Wein- und Federweißer-Feste auf dem Weinberg.
Eine neue Tradition hat der Chor selbst begründet. Bei den Mitsing-Veranstaltungen unter dem Motto „Bestensee singt - Sing4fun!“ wird das Publikum selbst zum Chor. Die Förderung des Gesanges ist ein wichtiges Anliegen unseres Vereins. Diesem Ziel dient auch ein neues Projekt - die Gründung eines Kinder- und Jugendchores in Bestensee.
Ein Höhepunkt des Chorlebens war und ist heute noch die Vorweihnachtszeit. Unser traditionelles Adventskonzert in der Bestenseer Dorfkirche ist immer sehr gut besucht und bereitet unserem Publikum, aber auch uns selber viel Freude. Durch unsere Initiative wird 2015 auch das Weihnachtssingen mit der Bundesliga-Volleyball-Mannschaft „Netzhoppers“ ins Leben gerufen.
Aber zurück zur Dirigentenfrage. Diese ist mit dem gesundheitsbedingten Ausscheiden von Günter Schröder 1993 wieder vakant. In der Folge wird der Männerchor von Dirigentinnen geleitet, vor allem 17 Jahre lang sehr einfühlsam und engagiert von Ingrid Teltow. Seit dem Jahre 2015 steht mit Matthias Deblitz wieder ein Mann an der Spitze.
Unter seinem Dirigat haben wir ein breites musikalisches Spektrum entwickelt. Neben klassischen Chorsätzen singen wir Schlager, Chansons bis hin zu Rap. Viele Lieder werden von Matthias eigens für uns arrangiert.
Gerne präsentieren wir unseren Gesang in der Öffentlichkeit, noch schöner ist es, wenn mehrere Chöre zusammenkommen. Die im Abstand von 2 Jahren durchgeführten Kreischorkonzerte bieten gute Gelegenheiten, andere Chöre zu hören, Erfahrungen auszutauschen und alte Freundschaften zu erneuern.
Besonders enge und herzliche Kontakte verbinden uns mit dem Männerchor aus unserer Partnergemeinde Havixbeck. Aus einem ersten, vorsichtigen „Beschnuppern“ 1992 entwickelte sich ein tolles Freundschaftsverhältnis mit wechselseitigen Besuchen und Auftritten zu den jeweiligen Jubiläen. Ebenfalls sehr enge Kontakte gibt es zum Männerchor „Freie Sänger“ Zernsdorf. Einige Sänger wirken sogar in beiden Chören.
Das Jahr 2022 ist gekommen. Zwei Jahre der weltweiten Pandemie mit massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens liegen hinter uns. Viele Chöre haben darunter gelitten, haben Mitglieder verloren, einige sind ganz zerfallen. Die Sänger des Bestenseer Männerchores sind alle dabei geblieben!
Und damit kommen wir vorerst zum Abschluß unseres kurzen Ausfluges in die Geschichte des Bestenseer Chores. Ein Ende jedoch der Chorarbeit in Bestensee ist dies nicht - wir haben noch viel vor und wollen noch viele Jahre unser Publikum erfreuen. Wir wünschen uns, daß noch viele an Gesang und Frohsinn interessierte Männer den Weg zu uns finden. Sie sind immer herzlich willkommen zu einer (oder mehreren) „Schnupperstunden“ zu unseren Chorproben freitags ab 19 Uhr im Gemeindesaal, Eichhornstr. 4-5 in Bestensee!